18. August 2023
94

Seit Ende der 80er Jahre häufen sich pädagogische Artikel über schulische Rituale. Hiermit wurde eine Tendenz durchbrochen, die dieses Thema nach 1968 aus den Kompendien und oft auch aus der Realität verschwinden ließ. Zurzeit befinden wir uns eindeutig ein einem Re-Ritualisierungsprozess.

Rituale in der Grundschule geben Orientierung, Geborgenheit und Sicherheit. Sie nehmen Ängste und fördern das Selbstvertrauen. Damit erleichtern sie die Konzentration und steigern die Merkfähigkeit.


Ritual oder ritualisierter Handlungsablauf

In der umfangreichen Literatur findet man keinen allgemein anerkannten Ritualbegriff. Die Schwierigkeit einer Ritualdefinition liegt wahrscheinlich in der Tatsache, dass in der Umgangssprache keine einheitliche Bedeutung des Begriffs existiert. Selbst anerkannte Lexika konnten sich noch nicht auf eine sinngemäße einheitliche Definition einigen.

Schulische Rituale prägen das Verhalten. Sie können von Einzelnen, von der Klasse oder von der Lehrkraft initiiert werden, sich verfestigen und bei bestimmten Anlässen immer wieder genutzt werden. Einmal etabliert, lösen bestimmte Anlässe ohne weitere Ansage spezifische Handlungsweisen einer Klasse aus. Jede:r weiß über den Ablauf und seine eigene Rolle, von Anfang bis zum Ende, Bescheid.

Im Unterschied dazu bezeichnen ritualisierte Handlungen Handlungsabfolgen, die sich auf kürzere Phasen innerhalb eines Schultages oder der Schulwoche beziehen und einen festen zeitlichen und inhaltlichen Rahmen besitzen. Sie strukturieren mehr, als dass sie „beflügeln“.

Rituale in der Grundschule - Kalenderdienst

Nicht verwechseln: Regeln oder Rituale

Häufig werden Regeln zu Ritualen erklärt. Dies hängt wahrscheinlich damit zusammen, dass sie auf ähnliche Weise entstehen. Regeln sind aber von der Zielsetzung, dem Adressatenbezug und der Dynamik her etwas fundamental anderes als Rituale:

  • Rituale gestalten und füllen das Zusammensein
  • Regeln bekämpfen herrschende Missstände

Regeln sind Appelle. Sie fordern Einhaltung und disziplinieren jedes Individuum auf direktem Weg zum Schutz der Gemeinschaft. Sie reglementieren das Verhalten Einzelner. Durch Sanktionen, die mit der Klasse verabredet wurden, soll eine dauerhafte, positive Verhaltensänderung erreicht werden.

Rituale dagegen leisten atmosphärisch mehr: Wo Regeln die Klasse vor Störungen Einzelner schützen, wachsen Rituale mit der Stärke der Klasse.

Rituale in der Grundschule wachsen mit der Stärke der Klasse.

Rituale im Schulalltag der Grundschule

Rituale in der Grundschule rhythmisieren den Schulalltag, indem sie an markanten, schwierigen Punkten, wie den Anfängen oder Endpunkten einer Stunde, des Schulalltags oder der Schulwoche, Akzente setzen, die durch ein wiedererkennbares Arrangement Besonderheit erlangen.

Wiederkehrende Abläufe geben allen Kindern mehr Handlungssicherheit. Rituale entlasten deinen Schulalltag, speziell in Krisensituation. Denn für solche Anlässe vorgesehene und erprobte Verhaltensarrangements nehmen wortlos ihren Lauf. Schulische Ritualisierungen gehen unter die Haut. Mit ihrer Symbolik und ihrem Aufbau sprechen sie die Gefühlswelt der Kinder an.

Rituale machen, durch ihren Handlungsablauf und ihre Inszenierungen, aus einem Nebeneinander ein Zusammenspiel. Sie wirken damit gemeinschaftsbildend. Durch Symbolik und Rhetorik schafft ein Ritual eine Situation der Exklusivität, in der sich nur „Mitglieder“ angemessen verhalten können. Dadurch entsteht so etwas, wie eine eigene Kultur. Diese grenzt sich allerdings nach außen ab, um innere Stabilität zu erlangen. Das Gemeinsame rückt in den Vordergrund.

Rituale können spontan entstehen, sich verfestigen, weitervererbt bzw. tradiert werden und sich dann auch wieder verändern. Sie können sich langsam entwickeln und sich allmählich unter Einfluss aller Beteiligten verfestigen. Rituale können auch von dir selbst erfunden werden. Hierbei sollten Regelungen für Zeit und Handlungsspielraum begründet, verabredet und vielleicht sogar trainiert werden.

Zeitlich betrachtet können Rituale in der Grundschule ganz unterschiedlich sein. Sie können nur wenige Minuten in Anspruch nehmen, sich aber auch über Tage oder sogar über Wochen oder Jahre erstrecken. Je seltener Rituale genutzt werden, desto länger brauchen sie um sich durchzusetzen. Handlungssouveränität stellt sich umgekehrt umso schneller ein, je häufiger ein Ritual genutzt wird.

Innerhalb der Rituale erzeugen Symbole wortlose Verständigung und Atmosphäre. Eine Klasse wird befähigt, sich an ihren Symbolen zu erkennen und von anderen abzugrenzen. Symbole können Gegenstände, Gesten, Kostümierungen, Zeichen oder Melodien sein, die bestimmte Handlungen bei der Klassengemeinschaft auslösen, ohne dass darüber ein Wort verloren werden müsste. Sie verstärken Wirkungen. Oft sind es akustische Zeichen. Sie alle markieren Anfang und Ende eines ritualisierten Handlungsablaufs.

Rituale in der Grundschule - Zeitüberwachungsdienst

Morgenkreis und Abschlusskreis

Angeregt durch eine frühere Referendarin, bin ich auf das Ritual des Morgen- und Abschlusskreises gekommen. Dieses strukturiert meinen Unterrichtsalltag. Es gibt den Kindern Sicherheit und Halt. An diesem Ritual erkennt man, exemplarisch, die drei Phasen einer jeden ritualisierten Abfolge.

Die erste Phase zeigt sich in einer räumlichen Veränderung, einer Aufhebung der alten Sitzordnung: Wir gehen in den Kreis. Diese Einstimmungsphase braucht eine besondere Symbolik, beispielsweise bestimmte akustische Erkennungszeichen, um nonverbale immer gleiche Gruppenaktivitäten bei bestimmten Anlässen auszulösen. Bilder oder Zeichen und Gesten können Startimpulse geben, die Schülerinnen und Schüler aus der „Normalität“ zu lösen. Hierfür nutze ich am liebsten die Zebra-Dienste- und Regelkärtchen. Sie leiten diese Phase optimal ein.

Im Kreis schließt sich die nächste Phase an. Der eigentliche Morgenkreis startet. Er befähigt die Klasse zu einer Gemeinschaftsleistung, einem Erleben ihrer Gemeinschaft. Dies ist unter anderem daran zu erkennen, dass einzelne Kinder oder Kleingruppen die Leitung und Gestaltung übernehmen. Als Hilfestellung für den Ablauf, nutzen die Kinder meiner Klasse sog. Moderationskärtchen. Diese leiten sie vollkommen unkompliziert durch unser Ritual. Nebenbei ermöglichen sie, dass sich das Kreiskind sowie die Klassengemeinschaft neu erfahren und intensiv kreativ erleben kann.

Den Download zu den Moderationskärtchen und einem Ablaufplan findest du am Ende dieses Beitrags.

In der dritten Phase unseres Rituals, gliedern sich die Kinder wieder ein. Nicht so, wie es vorher war, sondern durch den rituellen Prozess unterschiedlich stark verändert. In unserem Morgenkreis erkennt man diese Phase daran, dass das Kreiskind die Moderation wieder an mich übergibt und wir unseren Sitzkreis auflösen. Akustische Zeichen, Lieder, Abzählreime o.ä. können an dieser Stelle ebenfalls Zeichen setzen und damit die Rückkehr markieren.


Meine Erfahrungen aus der Unterrichtspraxis

Der Morgen- und der Abschlusskreis fördern Selbstständigkeit, Kooperation und Partizipation. Beide Rituale ermöglichen den Kindern und mir eine kontinuierliche Reflexion unseres Unterrichtsablaufes und machen ihn transparent. Sie bringen Ordnung und „Disziplin“ in die Klasse, ohne die Schüler:Innen unter Druck zu setzen. Auf diese Weise schaffen sie eine konstruktive Atmosphäre und beeinflussen positiv die Arbeitshaltung und die Ausdauer der Kinder.

Nebenbei ermöglichen sie, trotz der Gemeinsamkeit, die Individualität des Kindes zu erhalten. Damit erlangen die Kinder Konfliktfähigkeit und soziale Kompetenz. Nebenbei legen wir also mit solchen kleinen und feinen Unterrichtsphasen den Grundstein zu Autonomie und Selbstständigkeit.

Probiere es unbedingt aus! Und schreib uns in die Kommentare, welche Rituale du gerne nutzt.

Ich freue mich über ein Herzchen, wenn dir der Beitrag gefallen hat. Auf unserem Instagram-Account zebra_franz findest du viele weitere Ideen für deinen Unterricht.

Herzlichst, deine Theresa


Downloads

Danke!
94 Personen haben sich für diesen Beitrag bedankt.
Klicke aufs Herz und sag Danke.