3. Januar 2022
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Achtsamkeit, Sprache und Denken

Liebe Kolleginnen und Kollegen,

ein guter Vorsatz für das neue Jahr: Lasst uns bewusst sprachsensibel unterrichten und die Thematik achtsamer Sprachgebrauch bei unseren Schülerinnen und Schülern fördern.

In diesem Beitrag möchte ich auf den Zusammenhang von Sprache und Denken eingehen, erläutern, weshalb mir der genannte Vorsatz so wichtig erscheint und geeignete Übungen vorstellen.

Sprache dient nicht nur der Übermittlung von Informationen. Hinter Gesagtem und Geschriebenem steckt auf einer tieferen Ebene eine Botschaft, die unser Denken und somit oft auch unser Handeln beeinflusst. Worte rufen bestimmte Assoziationen hervor und bestimmen so unsere Emotionen. Selbstverständlich ist es auch ausschlaggebend, was wir sagen, vor allem aber, wie wir es sagen, also mit welchen Worten und Ausdrücken. Stimmlage, Mimik und Gestik sind gleichfalls bedeutend. In diesem Beitrag geht es vorrangig um lexikalische Einheiten.


Sprache als Ausdruck der Persönlichkeit

Sprache ist Ausdruck des Denkens. Sie gibt dem Zuhörer Aufschluss über Weltwahrnehmung, Einstellungen und Persönlichkeit des Sprechers. Ist dieser eher zögerlich, wird er oder sie Füllwörter wie „mal“ oder „eventuell“ verwenden und eher zu (rhetorischen) Fragen neigen, als Aussagesätze zu formulieren. Ist dieser pessimistisch, wird beispielsweise das Wort „nein“ oder der Ausdruck „auf keinen Fall“ vermehrt zu vernehmen sein. Ein Optimist dagegen sagt häufig: „ja“, „sicher“, „ganz bestimmt“.

Folgendes Experiment kann hilfreich sein, uns mittels der Sprache über die Denkweise unserer Mitmenschen bzw. selbstreflexiv unserer eigenen Persönlichkeit und Denkmuster bewusst zu werden:

  1. Denke an eine Person, die du kennst bzw. denke über dich selbst nach.
  2. Überlege: Welches Wort oder welche Worte fallen dir sofort ein?
    Anmerkung: Es sollten möglichst keine Beschreibungen der Person sein, sondern Worte, die der oder diejenige häufig bzw. typischerweise benutzt.
  3. Was lösen diese Worte in dir aus? Wie fühlt, denkt und handelt dieser Mensch?
    Bzw.: Was sagt der Gebrauch der Worte über dich aus? Wie werden deine Mitmenschen dich wahrnehmen? Ggf auch: Was könntest du stattdessen sagen?

Die Macht der Sprache

Sprechen und Denken sind, wie bereits angedeutet, eng miteinander verbunden. Denken kann sich auch als „innerer Dialog“ beschreiben lassen.

Wilhelm von Humboldt drückt es so aus: „Die Sprache ist das bildende Organ des Gedankens“ (ebd., S. 50). Er bringt damit zum Ausdruck, dass unser Denken maßgeblich von unserer Sprache bestimmt wird. Gleiches gilt auch umgekehrt: Unsere Sprache wird von unserem Denken beeinflusst. Wir sind der jeweiligen Sprache, in der wir kommunizieren allerdings nicht, wie es bei Humboldt anklingt, ausgeliefert, sondern können diese bewusst verwenden, so dass unser Denken und damit unsere Weltvorstellung davon profitieren. Es geht also vor allem um den Sprachgebrauch und nicht nur um das jeweilige Sprachsystem.

Achtsamer Sprachgebrauch - Franz Zebras Vorhaben fürs neue Jahr

Übersicht: Bernadette Girshausen, Berlin

Wahrnehmung, Denken und Sprache stehen in einer Wechselwirkung und vermögen Gefühle und Handlungen auszulösen.

Der Zuhörer ist sich dessen bewusst und fühlt sich durch den Ausdruck der Weltsicht des Sprechers verstanden oder missverstanden. Somit kann Sprache in sozialen Beziehungen sowohl zerstören als auch aufbauen. Sprache besitzt Macht!


Wie kann man die Macht der Sprache nutzen? – Achtsamer Sprachgebrauch im Unterricht

Positiv sprechen, positiv denken

Nicht ohne Grund finden sich auf Karten, Magneten, T-Shirts u. a. m. zahlreiche Motivations- und Affirmationssprüche. Es lohnt sich zu untersuchen, welche Worte und Wendungen hierauf zu finden sind. Sammelt diese doch einmal mit eurer Klasse. Es geht nicht darum, das Zimmer mit Plakaten vollzukleben, sondern diese Worte in den Sprachgebrauch und somit ins eigene Denken (den „inneren Monolog“!) aufzunehmen.

Bedient sich ein Sprecher oder Schreiber gezielt positiv konnotierter Wörter und Wendungen, so wird dies auch sein Denken beeinflussen. Das betrifft sowohl das Denken über sich selbst (Selbstkonzept), als auch über die Mitmenschen und die Welt.

Es soll also darum gehen, über die Konnotation sprachlicher Ausdrücke nachzudenken und Sprachgewohnheiten auszubilden, die den Gebrauch positiv belegter Wörter und Ausdrücke beinhalten. Somit können wir im Deutschunterricht ein Stück Glück vermitteln.

Exkurs: „Durch intensives Wiederholen positiver Worte, positiver innerer Bilder und Gefühle können sogar jene, die genetisch eher zum Unglücklichsein neigen, ihr Gehirn neu strukturieren und eine optimistischere Einstellung zum Leben gewinnen.“ (Newberg & Waldmann)

Positives Sprechen und Denken bringt eine andere, lebensbejahende Realitätswahrnehmung mit sich. Neurobiologisch lassen sich Veränderungen am Parietallappen und am Thalamus belegen. Durch positive Sprache werden Teile des Gehirns aktiviert, die für Motivation verantwortlich sind und motorische Abläufe steuern. Kurz gefasst könnte man also formulieren: Positive Sprache begünstigt positives Denken – positives Denken lässt handeln.

Auch in Beziehungen zu anderen Menschen ist ein differenzierter Wortschatz wichtig. Es ist von großer Bedeutung, dass wir unsere Worte weise wählen und überlegen, wie sie der Adressat aufgrund seines Sprachwissens, seiner Befindlichkeit und der Beziehung zu uns aufnehmen wird. Aktives Zuhören und rhetorische Mittel zeigen dem Gegenüber Respekt und begünstigen die Beziehung zu anderen.

Geeignete Übungen:

  • „Wie fühlen sich Worte an?“: Wörter aus einem Wortfeld werden gesammelt. Anschließend markieren die Schülerinnen und Schüler individuell, welche Worte bei ihnen positive Gefühle hervorrufen, welche sie als neutral einordnen und welche Worte negative Gefühle wecken. Die Ergebnisse werden verglichen und begründet.

    In einem zweiten Schritt kann eine Impulsfrage gestellt werden: „Bei welcher Beschreibung des Wetters würdest du am liebsten rausgehen?“ Die Kinder bringen die Wörter dann in eine Reihenfolge, die sie erklären.
  • „Hilfe: Der Autor hatte schlechte Laune“: Wir suchen in einem Text negative Wendungen und ersetzen sie. So können aus einer „unschönen“ Geschichte verschiedene schöne oder lustige Texte entstehen. Das Gleiche geht auch andersherum und regt ebenfalls zur Sprachreflexion an.
  • Wir suchen positive Wörter in Texten wie Motivationssprüchen, Werbeslogans, Gedichten u. s. w.
  • „warme Dusche“
  • „Ein wirklich schöner Morgen“: Wir versuchen in der ersten Stunde nur nette Dinge zu sagen und positiv belegte Worte zu verwenden, die andere glücklich machen. Für Fluchen, Schimpfen, Beleidigungen oder Jammern gibt es einen Minuspunkt. Das Motto lautet: Erst denken, dann sprechen! Wer gewinnt? Der Lehrer spielt hier ebenfalls mit – gar nicht so leicht am frühen Morgen.

Strukturierte Sprache, klare Gedanken

Kinder lernen das sprachliche Denken erst mit dem Sprach- und Schrifterwerb. Vorher fehlen Begriffe, um etwas verstandesmäßig zu erfassen oder komplizierte Denkvorgänge (etwa Argumentieren, Problemlösen oder Analogiebildung) zu vollziehen. Neben dem sprachlichen Denken gibt es also ein bildliches, sinnliches Denken, das rein intuitiv abläuft. Für uns Erwachsene ist dies, sofern es nicht weiter gefördert wird, schwer zugänglich, dennoch in unserem Unterbewusstsein vorhanden.

Um Gedanken zu strukturieren, bedarf es der Sprache, die dann wiederum unser Denken beeinflusst bzw. determiniert. (vgl. Sapir-Whorf-Hypothese) Sprachliche Mittel sind also quasi das Werkzeug, mit dem wir logisch denken. Präzise Ausdrücke sind mit einer aufgeräumten Umgebung gleichzusetzen. In dieser kann sich das Kind dann entfalten. Stress und Angst können uns allerdings beim Denken blockieren. Hiergegen helfen positives Denken (s. o.), ein achtsamer Sprachgebrauch und innere Ruhe.

Geeignete Übungen:

  • Gefühle in Worte fassen: zu Bildern von Gesichtsausdrücken (ggf. die Kinder Gefühle nonverbal ausdrücken lassen und fotografieren) passende Worte finden, wörtliche Rede formulieren oder einen Text schreiben lassen.
  • Wörtersonne: Begriffe zu einem Wortfeld sammeln. Durch die Visualisierung der Beziehungen innerhalb des Wortschatzes, wird das vernetzte Denken und somit die Begriffsbildung gefördert.
  • Kategorisierung von Worten: Wörter aus Wortfeldern auf Karteikarten anbieten. Die Kinder sortieren diese dann in Boxen, auf denen die passenden Oberbegriffe stehen.
  • Arbeit mit Scaffolds (sprachlichen Gerüsten): z. B. Problemlöseprozesse versprachlichen. Dabei geeignete Scaffolds anbieten (Zuerst …, deshalb …, oberhalb usw.)
  • Innehalten, um Stress abzubauen, z. B. mit einer Igelballmassage oder einer Mediation. Auch Karten, die zum Denken – Sprechen (– Handeln) auffordern, können hier hilfreich sein.
Achtsamer Sprachgebrauch - Franz Zebras Vorhaben fürs neue Jahr

In multilingualen Klassen kann zum Aufbau von Sprachbewusstheit auch mit Sprachvergleichen gearbeitet werden: Welche Worte haben wir im Deutschen, welche Worte gibt es in anderen Sprachen? Wie transportiert Sprache unsere Konzepte der Welt, welche Konzepte gibt es in anderen Sprachen? Hier wird deutlich, wie verschieden und unterschiedlich differenziert wir die Welt in den Sprachen beschreiben können, wodurch letztendlich unsere Wahrnehmung geprägt ist.

Mehrere deutsche Wörter für ein oder kein Wort im EnglischenEin deutsches Wort für mehrere englische Wörter bzw. Wendungen
deutschenglischdeutschenglisch
Wieso?
Weshalb?
Warum?
Wofür?
Wozu?
Why?Bitte.Please.
Here you go.
You’re welcome.
Bitte?Sorry?

Wusstest du, dass es im Japanischen unterschiedliche Wörter für kaltes Wasser (mizu) und warmes Wasser (yu) gibt? Im Chinesischen gibt es je ein Wort für den älteren und jüngeren Bruder sowie die ältere und jüngere Schwester. Während wir nur durch Adjektive konkretisieren, wird hier grundsätzlich Verschiedenes benannt.

Vielleicht weißt du, dass Arabisch von rechts nach links geschrieben wird. Danach richtet sie auch das Zeitverstehen. Früher ist demnach rechts angeordnet und später links. In Deutschen Köpfen ist es aufgrund des Schriftsystems genau andersherum.

Ich wünsche gutes Gelingen, positives und differenziertes Denken durch achtsamen Sprachgebrauch zu fördern und Verständnis für alle zu entwickeln, die durch mangelnde Sprachbewusstheit (noch) nicht achtsam im Sprachgebrauch sind.

Ihr kennt weitere geeignete Übungen? Teilt sie gerne in den Kommentaren.

Herzlichst
Bernadette Girshausen

Literatur:

Wilhelm von Humboldt (1836): Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren geistige Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts. Berlin.
Newberg, A./Waldman, M. R. (2013): Die Kraft der Mitfühlenden Kommunikation: Wie Worte unser Leben ändern können. München: Kailash Verlag.
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