29. Juli 2022
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Buchstaben, Silben, Wörter … Über welche basalen Einheiten können Kinder zu einem sicheren Schriftspracherwerb geführt werden? Welche Potenziale und Grenzen ergeben sich aus den einzelnen schriftsprachrelevanten Einheiten? In dem Artikel werden die Zugänge über die verschiedenen basalen Einheiten kritisch unter die Lupe genommen und an Materialbeispielen aus Zebra aufgezeigt.


Warum Lautieren und Silben schwingen eine wichtige Rolle im Schriftspracherwerb einnehmen

Schriftspracherwerb wird in der Fachdidaktik nicht auf der Basis von Reproduktionsleistungen, sondern von aktiven Denkleistungen gesehen. Somit gilt die Wortbildtheorie, die besagt, dass Wortschreibungen eingeprägt werden, als überholt (vgl. bereits Richard Lange (1922): Wider die Wortbildtheorie).

In der Fachdidaktik wird seit je her ein Diskurs geführt, welcher basalen schriftsprachlichen Einheit für den Schriftspracherwerb eine Schlüsselrolle zukommt.

Die Positionen gehen dabei weit auseinander. Diese begründen sich auf verschiedenen Sichtweisen auf den Lernprozess und auf die deutsche Schriftsprache. Diese wird als Laut- oder Silbenschrift beschrieben. Das legt nahe, dass entweder der einzelne Laut bzw. Buchstabe oder die Silbe im Schriftspracherwerb eine besondere Funktion einnehmen. Dieser Artikel versucht darzulegen, inwieweit beide Einheiten eine Rolle spielen und zwischen den fachdidaktischen Positionen zu vermitteln.


Linguistische Grundlagen: Laut und Buchstabe

Die deutsche Schrift ist eine Alphabetschrift. D. h. wir schreiben für jeden Laut ein Zeichen (a → a) bzw. eine bestimmte Zeichenfolge (sch → sch). Von daher ist anzunehmen, dass es durchaus Sinn macht, einzelne Laute eines Wortes sequenziell zu verschriften. Die Graphem-Phonem-Korrespondenzen sind regelhaft. Erschwerend kommt aber dazu, dass wir dabei mit 26 Buchstaben (plus Umlaute) auskommen müssen und somit auch Phonemvarianten durch ein und denselben Buchstaben repräsentiert werden (etwa der Buchstabe e für die verschiedenen Lautvarianten). Einige wenige Buchstaben(kombinationen) stehen für verschiedene Laute (etwa s, v, y, ch).

Insbesondere durch die in den 1980er Jahren von Jürgen Reichen konzipierte Methode „Lesen durch Schreiben“ ist der Zugang über den Laut stärker in den Fokus geraten. Allerdings ging es dabei vornehmlich um basale Erfahrungen mit der Schriftsprache, die Förderung des freien Schreibens und weniger um den Rechtschreiberwerb. Dies führte zu starker Kritik, da beim Schreiben nach Gehör, also unter alleinigem Rückgriff auf die Phonem-Graphem-Korrespondenzen zwangsläufig Rechtschreibfehler passieren. Die meisten Wortschreibungen beruhen nicht allein auf dem alphabetischen Prinzip, sodass die Strategie zu Falschschreibungen verleiten kann, wobei sich die Frage nach der Korrektur und einem Umlernen im Laufe des weiteren Schriftspracherwerbs ergibt.

In Rückgriff auf das alphabetische Prinzip werden Laut- bzw. Schreibtabellen angeboten. Die Zebra Schreibtabelle ist in der Lehrwerksreihe fest verankert. Hiermit können Schriftsprachanfänger unter Rückgriff auf die dort aufgeführten Laut-Buchstaben-Beziehungen Wörter verschriften. Somit können sie erste Erfahrungen mit der Schriftsprache sammeln, sich schriftsprachlich ausdrücken lernen und freies Schreiben kann von Anfang an gefördert werden.

Zebra Schreibtabelle (Vorderseite) - den Schriftspracherwerb beginnen
Zebra Schreibtabelle (Rückseite) - den Schriftspracherwerb beginnen
Vorder- und Rückseite der Zebra-Schreibtabelle

Mit der App Die Zebra Schreibtabelle können Kinder lernen, sich auf der Schreibtabelle zu orientieren. Sie bietet zudem weitere Möglichkeiten zur Förderung der phonologischen Bewusstheit (Hören von An-, In- und Endlauten) und ermöglicht freies Schreiben mit der Lauttabelle.

Die Zebra Lautgebärden helfen, Laut-Buchstabenbeziehungen handlungsorientiert zu festigen.

Der einzelne Laut hat im frühen Schreiberwerb also eine Berechtigung, da:

  • Buchstabenkenntnis aufgebaut und gefestigt werden kann.
  • Kinder über den Laut Erfahrungen mit der Schriftsprache sammeln (alphabetisches Prinzip) und die für den Schriftspracherwerb notwendige phonologische Bewusstheit weiterentwickeln.
  • Arbeit an lautgetreuem Wortmaterial möglich ist.
  • auch Schreibanfänger ohne weitere Kenntnisse (frei) schreiben können.
  • die Lernenden ein Grundprinzip der deutschen Schrift durchdringen.
Freies Schreiben im frühen Schriftspracherwerb

Der einzelne Laut führt im frühen Schreiberwerb zu Problemen, da:

  • nicht nur das alphabetische, sondern weitere Prinzipien bei der Orthographie eine Rolle spielen.
  • Kinder somit zwar schreiben können, aber nur bei lautgetreuen Wörtern zu richtigen Schreibungen kommen.
  • durch die Reduktion auf den Laut kein komplexes Wissen vermittelt wird und zu wenig an richtigen Schreibungen gearbeitet werden kann.

Hieraus ergibt sich die Forderung nach anderen Zugängen, was dazu führte, dass die Bedeutung der Silbe stärker in den Fokus des frühen Schriftspracherwerbs geriet.


Linguistische Grundlagen: Silbe

Der silbenbasierte Ansatz (Röber 2009) versucht eine Antwort auf die Kritik des mangelnden Rechtschreiberwerbs durch lautorientierten Unterricht zu bieten. Das Motto lautet „Rechtschreiberwerb von Anfang an.“ Das Konzept beruft sich dabei auf linguistische Grundlagen und betont das silbische Prinzip als elementares orthographisches Prinzip der deutschen Rechtschreibung. Hierdurch kann erklärt werden, weshalb Buchstaben geschrieben werden, die lautlich nicht wahrnehmbar sind: Jede Silbe hat einen Vokal als Silbenkern. In der zweiten Silbe ist dies bei den für das Deutsche prototypischen zweisilbigen Wörtern das Reduktions -e (*le-sn → le-sen). Nur im Silbenkontext erhält der einzelne Laut seine Funktion. So spielt es bspw. eine Rolle, ob der Laut in der ersten Silbe (betonte Silbe) oder zweiten Silbe (unbetonte Silbe) auftritt, ob die erste Silbe offen oder geschlossen ist (Vokale in offenen Silben werden lang, in geschlossenen Silben kurz gesprochen). Diese linguistischen Erkenntnisse sind an einem ausgewählten Wortschatz möglich, dem „prototypischen“ Zweisilber, den viele Verben in der Grundform und auch Nomen (Substantive) abbilden. Dieser besteht aus einer ersten offenen oder geschlossenen Silbe sowie der zweiten unbetonten Silbe, die ein Reduktions-e enthält.

Silbische Erklärungen können im weiteren Rechtschreiberwerb genutzt werden, um bspw. die Doppelkonsonantenschreibung (Affe), die Schreibung von Silbengelenken (rupfen), das silbeninitiale h (dre-hen) verstehen zu können.

Es ist zu beachten, dass auch die Silbe nicht ohne den Laut auskommt. Die Erklärungen über die Silbe sind zwar linguistisch korrekt, dabei aber auch so komplex, dass selbst Lehrkräfte teilweise Schwierigkeiten haben, diese tiefgründig zu verstehen und das Konzept richtig anzuwenden. Die Arbeit kann ausschließlich an ausgewähltem Wortmaterial (prototypischen Zweisilbern) stattfinden, die den Schlüssel zum Verstehen des silbischen Prinzips darstellen. Begrenzt lassen sich die Erkenntnisse auch auf dreisilbige Wörter übertragen. Hierin liegt gleichzeitig auch der besonders in der Praxis laut werdende Kritikpunkt: Der deutsche Wortschatz besteht nicht ausschließlich aus Zweisilbern. Bei strenger Befolgung des silbenbasierten Ansatzes muss der weitere Wortschatz zunächst ausgeblendet werden, wodurch es schwer wird, auf Satzebene zu arbeiten und sinnvolle Texte anzubieten, die die Lesemotivation fördern. Das Lesen von Silben, die nicht im Wortkontext stehen (etwa Silbenteppiche) gleicht eher dem Lesen dadaistischer Gedichte und fördert weder Sinnverstehen noch Lesemotivation. In der Leseförderung können diese aber vereinzelt sinnvoll sein.

Der Zugang über die Silbenstruktur anhand prototypischer Zweisilber ermöglicht:

  • Förderung der phonologischen Bewusstheit,
  • erste Erkenntnisse über orthographische Strukturen („Jede Silbe hat einen König“),
  • Anwendung orthographischer Strukturen von Anfang an,
  • Arbeit insbesondere an zweisilbigen Wörtern.

Die Silbe spielt für das Rechtschreiben, aber auch für das Lesen eine entscheidende Rolle, da Silben wiederkehrende, überschaubare und für die Artikulation wichtige Einheiten darstellen. So findet sich in den Zebra-Lese-Materialien teilweise der schwarz-grüne Silbendruck.

Silbendruck schwarz-grün Beispiel aus Zebra Lesebuch 2, Seite 3
schwarz-grüner Silbendruck als Lesehilfe, Beispiel aus dem Zebra-Lesebuch 2, Seite 3

Auch in den Apps Lesen 1 und 2 wird Bezug auf die Silbenstruktur von Wörtern genommen.

Der silbische Zugang hat im frühen Schreiberwerb Grenzen, da:

  • viele, aber nicht alle Wörter im Deutschen zweisilbig sind. Insbesondere häufige einsilbige Wörter können nach dem Modell nicht erklärt werden.
  • von Lehrkräften ein tieferes linguistisches Wissen verlangt wird und die Erkenntnisse für viele Kinder zu komplex sind.
  • auch die Silbe nicht ohne den Laut auskommt.
  • das Lesen und Schreiben von Silben ohne Sinnkontext nicht sinnvoll erscheint.

Strategiegeleiteter Schriftspracherwerb: Laut, Silbe und Wortbaustein

Es wird also deutlich, dass lautliche Analyse und Erkenntnisse der Silbenstruktur gleichermaßen zu einem gelingenden Schriftspracherwerb beitragen. In den Zebra Materialien verbinden sich beide Ansätze in der FRESCH-Strategie Sprechen–hören­–schwingen: Wörter werden zunächst lautlich analysiert und dann in ihre Silbenstruktur gegliedert.

Die Schriftsprache unterliegt wie aufgezeigt verschiedenen Prinzipien. Das silbische und alphabetische Prinzip spielen bei der Verschriftung von Wörtern eine elementare Rolle.

Die Zebra Strategie Sprechen - hören - schwingen
Zebra Strategiesymbol Sprechen – hören – schwingen

Hinzu kommt das morphematische Prinzip, nachdem Wortbausteinen als weitere Einheit Beachtung geschenkt werden muss. Diese werden in den Strategien Wortbausteine, Weiterschwingen und Ableiten aufgegriffen, die bei der Rechtschreibermittlung helfen. Wortbausteine werden gleich oder sehr ähnlich geschrieben. Sie helfen auch beim Lesen, da sie Sinneinheiten darstellen (Morphem = kleinste bedeutungstragende Einheit) bzw. grammatikalische Informationen enthalten.

Zebra Strategien Wortbausteine Weiterschwingen Ableiten
Zebra Strategiesymbole Wortbaustein, Weiterschwingen, Ableiten

Fazit

Ich möchte daher schlussfolgern, dass nur ein Zusammenspiel der Strategien Sicherheit im Rechtschreiberwerb bringt. Insofern muss Laut, Silbe und Wortbaustein gleichermaßen von Anfang an unterrichtliche Aufmerksamkeit geschenkt werden.

Hinzu kommen wichtige, häufige Wörter, die sich weder rein alphabetisch noch rein silbisch oder morphematisch erklären lassen. Bei dieser überschaubaren Anzahl an Wörtern ist es unumgänglich, die Strategie Merken einzubeziehen. Hier geht es nicht um das Auswendiglernen von ganzen Wortschreibungen sondern um das Memorieren bestimmter schwieriger, von deutschen Phonem-Korrespondenz-, Silben- und Morphemregeln abweichenden Stellen im Wort. Auch bei uneindeutigen Phonem-Graphem-Korrespondenzen, die nicht regelhaft durch den Lautkontext erklärbar sind (z. B. Vampir, oder in Fremdwörtern wie Theater) muss die Strategie Merken Anwendung finden.

Die in den oben genannten Konzepten des Schriftspracherwerbs vorgenommene Fokussierung auf eine bestimmte Einheit (Laut oder Silbe) kann nicht zielführend sein, da unser Schriftsprachsystem hierzu zu komplex ist. Aus linguistischen Gründen (Zusammenspiel verschiedener Strategien) und auch aus didaktischer Sicht  (unterschiedlichen Zugängen und unterschiedlichen Zielsetzungen: Erfahrungen mit der Schriftsprache und eigenes Entdecken von Regelmäßigkeiten, Rechtschreiberwerb, Förderung freien Schreibens) sollte eine Vereinfachung in Schriftspracherwerbskonzepten vermieden werden und fachdidaktische Diskurse vernünftig und mit Weitblick geführt werden. Gemäß der Entwicklungsmodelle des Schriftspracherwerbs sollten Laut, Silbe und Wortbaustein mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung von Anfang an behandelt werden. Die Kinder sollten Zeit bekommen, die einzelnen Prinzipien an einem passenden und vernünftig ausgewählten Wortmaterial zu durchdringen, ohne dass der Wortschatz dabei streng reglementiert wird. Rechtschreiberwerb ist zweifelsohne wichtig, allerdings ebenso die Möglichkeit, Schriftsprache im freien Schreiben erproben zu können.


Ich wünsche euren Schulanfängern einen gelingenden Schriftspracherwerb, in dem linguistisches Wissen nicht aufgezwungen wird, sondern Raum bleibt, eigenaktiv Erkenntnisse zu sammeln und diese dann allmählich anwenden zu können. Mit den angebotenen Zebra-Materialien sollte dies gelingen.

Herzlichst

Bernadette Girshausen


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